Don Giovanni, Festival d’Aix-en-Provence 2025
Fotos: Monika Rittershaus
Festival Program Website
Ich war als Sounddesigner bei der Don Giovanni-Produktion in Aix-en-Provence 2025 beteiligt – Regie Robert Icke, musikalische Leitung Sir Simon Rattle. Premiere war am 4. Juli.
Ich war mir anfangs überhaupt nicht sicher, ob ich mitmachen will. Denn was sollte ich da als Sounddesigner überhaupt beitragen? Don Giovanni ist eine feststehende Repertoire-Oper, Mozarts Musik ist klar strukturiert, durchgehend vorwärtstreibend, durchorganisiert – in die Musik dazwischen zu gehen, ist heikel. Ich hatte die Sorge, dass der musikalische Fluss leidet, wenn man künstlich etwas „dazwischen“ setzt. Und dann kommt noch dazu: Bei solchen Produktionen mit Stardirigenten ist es nicht unüblich, dass die Vorproben von der Dirigierassistent:in geleitet werden, und am Ende kommt der Maestro und schmeißt alles raus, was ihm nicht gefällt. Meine Befürchtung war, dass wir im Regieteam vier Wochen lang die tollsten Ideen entwickeln und am Ende wird alles wieder kassiert.
Was mich dann überzeugt hat, war, dass Simon Rattle tatsächlich fast die komplette Probenzeit anwesend sein würde – von Anfang bis Ende. Ich dachte: Okay, das ist ein echtes Angebot zur Zusammenarbeit, da kann etwas entstehen. Und: Natürlich wollte ich mit Simon Rattle arbeiten. Nicht nur wegen seines Rufs, sondern weil mich seine Projekte künstlerisch interessieren. Ein absolut faszinierender Dirigent.
Die Vorgeschichte zur Produktion war kompliziert. Pierre Audi, der leider inzwischen verstorbene Intendant des Festivals, war großer Fan von Robert Icke. Er hatte jahrelang versucht, ihn zur Oper zu bringen. Aber Robert hatte sich immer wieder geweigert. Ihn hat das Genre überhaupt nicht angesprochen, er sah für sich kein Potenzial darin. Auch Gespräche mit großen Dirigenten haben daran zunächst nichts geändert, sie haben eher seine Vorurteile bestätigt. Es war erst das Treffen mit Simon Rattle, das bei ihm etwas ausgelöst hat. Da hat er plötzlich eine Möglichkeit gesehen. Dass er ausgerechnet Don Giovanni inszenieren sollte – das ist in Aix ein großes Statement. Don Giovanni war das Stück der allerersten Festivalausgabe, es kehrt regelmäßig zurück und hat einen besonderen Status. Dass Pierre ihm genau dieses Stück gegeben hat, war ein Vertrauensbeweis – und eine Ansage: Lasst uns etwas wirklich anderes versuchen.

Ich selbst wusste bei der Anreise nach Aix noch nicht, was mein Beitrag sein würde. Im schlimmsten Fall hätte ich zwei, drei Töne beigesteuert und sonst nur dabei zugesehen. Zu meiner Überraschung war Simon Rattle aber nicht nur offen, sondern hat selbst die verwegensten Ideen eingebracht – Sachen, die ich mich gar nicht getraut hätte vorzuschlagen. Und umgekehrt: Alles, was ich eingebracht habe, wurde ernst genommen. Wir haben alles ausprobiert. Vieles wieder verworfen, aber immer aus gutem Grund. Es gab keine Eitelkeiten, keine Machtspiele. Wir haben Ideen bis zum Ende durchgearbeitet – so lange, bis sie getragen haben.
Ich finde, das merkt man dem Ergebnis an. Das Sounddesign steht stabil da und fügt sich erstaunlich gut mit dem Mozart. Das Feedback ist durchweg positiv – zumindest von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe. Und es zeigt mir, dass es nicht nur eine Bereitschaft, sondern wirklich einen Hunger nach solchen Zugängen gibt. Vielleicht ist es ein Schritt, um die Opernästhetik etwas stärker in Richtung Film zu öffnen – nicht um sie zu ersetzen, sondern um sie zeitgemäßer erfahrbar zu machen.
Und doch bleibt bei mir eine größere Frage hängen: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer guten Idee und einem guten Abend?
Was ich in dieser Produktion erlebt habe, war: Eine starke Idee reicht nicht. Die Idee muss durchgearbeitet werden – gegen Widerstände, durch Hindernisse, durch Zeitmangel, Zweifel, Komplikationen. Es ist dieser mühsame Weg, der am Ende dazu führt, dass eine Idee wirklich überzeugt. Und genau das wird leider oft unterschätzt.
Ich sehe da eine Parallele zur aktuellen KI-Entwicklung. Viele Tools versprechen, genau diesen Weg abzukürzen: Von der Idee direkt zum Ergebnis, ohne das Ringen dazwischen. Aber genau dieses Ringen ist es, was künstlerische Substanz entstehen lässt. Ohne das bleibt vieles flach – vielleicht spannend im ersten Moment, aber ohne Tiefe, ohne Nachhall.
Die Opernwelt hat ihre eigenen Herausforderungen. Sänger:innen etwa haben einen ganz anderen Zugang zur Figur als Schauspieler:innen. Sie verkörpern weniger im psychologischen Sinn, sondern die Musik fährt durch sie hindurch – sie erscheinen durch die Musik. Der Probenprozess ist dadurch oft technischer, organisatorischer. Und der ganze Betrieb ist so gebaut, dass Rollen schnell austauschbar bleiben. Sänger:innen springen oft kurzfristig ein, und es funktioniert, weil die Figur musikalisch verankert ist. Insofern ist der klassische Schauspielprozess, in dem sich Regisseur:in und Ensemble gemeinsam in einer offenen Suche auf die Figur zubewegen, in der Oper kaum möglich.

Und genau darin lag auch eine der zentralen Herausforderungen dieser Arbeit. Robert Icke kommt aus dem Sprechtheater, seine große Stärke liegt im sensiblen, intelligenten Zugriff auf dramatische Stoffe – wie bei seinem berühmten Hamlet, den er rückwärts inszeniert hat. Seine Arbeitsweise ist stark geprägt von Offenheit, Reaktion auf das Ensemble, einem Suchprozess im Proberaum. Die Oper hingegen folgt anderen Gesetzen. Die musikalischen Strukturen sind vorgegeben, der Probenprozess ist oft eng getaktet, viele Elemente müssen früh festgelegt sein. Diese Differenz lässt sich nicht einfach überbrücken.
Was ich mitnehme: Eine Ahnung davon, wie schwer es ist, in der Oper wirklich etwas zu verändern. Aber auch die Bestätigung, dass es möglich ist, wenn man bereit ist, den ganzen Weg zu gehen.

Credits
Regie: Robert Icke
Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle
Bühnenbild: Hildegard Bechtler
Kostüme: Annemarie Woods
Licht: James Farncombe
Choreographie: Ann Yee
Video: Tal Yarden
Dramaturgie: Klaus Bertisch
Sounddesign: Mathis Nitschke
Orchester: Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Chor: Estonian Philharmonic Chamber Choir
Don Giovanni: Andrè Schuen
Leporello: Krzysztof Bączyk
Donna Anna: Golda Schultz
Donna Elvira: Magdalena Kožená
Don Ottavio: Amitai Pati
Zerlina: Madison Nonoa
Il Commendatore: Clive Bayley
Masetto: Paweł Horodyski