Zunehmend stoße ich auf das interessante Problem, dass Regisseure das Bedürfnis haben, den Einsatz von Musik äußerlich zu beglaubigen. Da soll also beispielsweise ein Radio oder eine Stereoanlage auf der Bühne stehen, über die ein Schauspieler die Musik anmacht. Aber warum? Warum steht dann nicht auch ein Lichtpult auf der Bühne, über die der oder die SchauspielerIn das Licht anmacht und die Stimmung wechselt?
Nicht erst seit dem dänischen Dogma95-Manifest stellen sich Regisseure diese Frage. Es gibt diese berühmte Anekdote von David Raksin und Alfred Hitchcock: Als Hitchcock 1944 im Twentieth Century-Fox Studio „Lifeboat“ drehte, ließ Raksin, damals noch Angestellter des Studios, ihn wissen, dass er daran interessiert sei, den Score zu komponieren. Ein Vermittler informierte den Komponisten: „Mr. Hitchcock glaubt, dass, da die gesamte Handlung des Films in einem Rettungsboot mitten auf dem Meer stattfindet, sich das Publikum fragen wird, woher die Musik kommen würde?“ Raksin antwortete: „Bitten Sie Mr. Hitchcock zu erklären, woher die Kameras kommen, und ich werde ihm sagen, woher die Musik kommt.“ (siehe hier und hier)
„Bitten Sie Mr. Hitchcock zu erklären, woher die Kameras kommen, und ich werde ihm sagen, woher die Musik kommt.“
Hitchcocks damalige Einwände gegen einen Filmscore war eine Gegenreaktion zu den übereifrig illustrierenden Filmmusiken von Max Steiner und Erich Korngold. Genauso sind möglicherweise die Beglaubigungsbedürfnisse der Theaterregisseure zu verstehen. Ich erlebe viele Aufführungen, die mit schlecht motivierter, endlos vor sich hin bimmelnder Musik unterlegt sind.
Was wäre denn dann nun ein Anlass für Musik, der ohne eine äußerliche Beglaubigung auskommt? Der große Bernard Herrmann sagte: „Die Musik kann dir sagen, was die Menschen denken und fühlen – das ist die eigentliche Funktion der Musik.“ Es kann gar nicht überbetont werden, dass es eben nicht darum geht, dem Publikum zu erzählen, was es fühlen soll, sondern dass es darum geht, aus dem Innenleben der dargestellten Person zu erzählen.
Wessen innere Geschichte erzählt sie?
Wenn ich Musik in Theater und Film einsetze, dann frage ich immer, was ist der innere Anlass für Musik, wer löst sie aus und wem gehört die Musik. Wessen innere Geschichte erzählt sie? Wenn man diese Fragen sauber beantworten kann, dann stellt sich die Frage nach dem äußeren Anlass nicht mehr.