Der klägliche Versuch eines Tagebuchs über meine Zusammenarbeit mit Michel Houellebecq
Dienstag, 13. Juni 2006, Saas-Fee
Am Morgen, als Michel Houellebecq mich anrief, war ich gerade auf dem Weg zum Frühstücksbuffet. Ich befand mich in Saas-Fee, Schweiz, eigentlich ein Nobelskiort für Gutbetuchte, aber auch der Campus für die European Graduate School. Slavoi Zizek, der dort eigentlich gerne unterrichtet, behauptete sinngemäß in einem Interview, daß dort Business-People mit Geld einen schnellen Abschluß machen, ihren Doktor of Philosophy oder Masters of Arts. Nun, ich habe genau einen Business-People dort angetroffen, der Rest bestand aus Künstlern und Philosophen, die mit Müh und Not die Studiengebühren auftreiben konnten.
Das Konzept der Schule ist im Prinzip eine interdisziplinäre Begegnungstätte zwischen Philosophen und Künstlern – eine Art Kongress – mit dem heren Ziel, die Gründe und Bestrebungen des Lebens und künstlerischen Schaffens zu hinterfragen und im besten Fall als Resultat das Denken zu radikalisieren. Das angenehme Nebenprodukt dieses jährlich dreiwöchigen Marathons ist, daß man dafür auch noch einen universitären Abschluß bekommt.
Dieses Jahr war Houellebecq als einer der geladenen Künstler angekündigt, was ein Hauptgrund war, mich für dieses Studium zu entscheiden. Nachdem ich seinen letzten Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ genau einen Tag nach Erscheinen gekauft habe, kann man getrost davon ausgehen, daß ich ein Fan bin. Die Aussicht, den Menschen hinter den Büchern kennenzulernen, war verlockend, aber auch unheimlich. Wir alle, inklusive Professor und Gastgeber Martin Hielscher, waren nervös, wie er sich wohl verhalten würde. Wir hatten schon viel zu viele Journalistenberichte über ihn gelesen und waren also darauf vorbereitet, alle fünf Minuten eine Rauchpause einzulegen (Rauchverbot im Campus), uns nötigenfalls alleine zu unterhalten, weil er eingeschlafen ist und sowieso eigentlich keine Fragen beantworten will oder eine durchdringende Rotweinfahne zu ertragen.
Nichts von alledem. Er startete ausgeschlafen in den Tag und war bereit, offen auf alle Fragen, die wir ihm stellten, zu antworten. Er war zwar insgesamt ein bis zwei Gänge langsamer als wir, aber wir konnten uns gut auf seinen Rhythmus einstellen. In Erinnerung blieben mir Aussagen wie „Sexuelle Fragen sind keine moralischen, die Logik des Begehrens ist stärker als die Moral.“ oder „Meine Bücher gelten deswegen als so provokativ, weil ich in den Momenten soziologische Perspektiven anwende, in denen die Tradition psychologische vorschreibt.“
Kurzum, ich hatte einen großartigen Tag mit ihm, der sich zwar auch auf die gemeinsamen Mahlzeiten ausweitete, aber trotzdem viel zu schnell vorüberging.
Ich habe zwar im Verlauf des Seminars erfahren, daß Houellebecq seinen Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ selber verfilmen wird, aber nur für einen kurzen Moment mich der Hoffnung hingegeben, die Musik dafür komponieren zu dürfen. Zu zufrieden schien er mir mit dem musikalischen Netzwerk, daß er durch seine musikalischen Lesungen bereits um sich herum aufgebaut hat. Ich hatte eher die Hoffnung, irgendeine Assistenz übernehmen zu können. Ich wäre auch Kabelträger gewesen, nur um noch ein wenig mehr Zeit mit ihm verbringen zu können und mehr Einblick in sein Denken und Arbeiten zu bekommen. Trotzdem gab ich ihm eine meiner CDs mit.
Zwei Tage später schrieb ich ihm eine lange Dankesmail, in der ich ihm neben einer enthusiastischen Schilderung meiner Eindrücke des Tages mit ihm auch meine Dienste anbot. Ich sprach zwar auch von Musik, stellte aber voreilend fest, daß er einen ziemlich zufriedenen Eindruck mit seinen Freunden macht. Was ich auch wirklich glaubte.
Umso überraschter war ich, als er mich eine Woche später auf dem Handy anrief. Wie gesagt, es war morgens noch vor dem ersten Kaffee und nachdem er aussprach, daß er mich für die Musik vorschlagen möchte, war meine sowieso schon kaum vorhandene Souveränität endgültig verflogen. Ihn schien das eher zu amüsieren, mir hingegen wurde es immer peinlicher. Ich bekam noch mit, daß ich ihn doch bitte bald in Paris besuchen möge (wir einigten uns auf die darauffolgende Woche), bevor das Gesprächsende mich erlöste.
Die letzten drei Tage des EGS-Marathons konnten mein Denken leider nicht mehr erreichen.
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Mittwoch, 14. Juni 2006, Saas-Fee
Stimmt nicht. Sandy Stone ist ein brillante Geschichtenerzählerin, vor allem in eigener Sache. Als wir ihr alle an Lippen kleben, sagt sie uns, daß wir aufpassen müssen, wir sind ihr zu nah. Wir befinden uns in ihrer Reality Distortion Zone. Alles, was sie sagt, ist wahr. Irgendwie. So ungefähr.
Ich fühle mich verstanden.
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Montag, 19. Juni 2006, München
Ich bin bereits ein paar Tage wieder zuhause, in der Funkkaserne an der Domagkstraße, in die ich kurz zuvor eingezogen bin, um nicht meine künstlerische Arbeit von hohen laufenden Kosten auffressen zu lassen. Es gleicht einem Kulturschock, aus drei Wochen schweizerischer Vollpension in den Schoß eines Haufens Pennern zurückzukehren. Die nennen sich übrigens selber so. Zumindest die Selbstironischen.
Auf jeden Fall fördert es nicht gerade die Surrealität dieser letzten Ereignisse. Mir kommt der Anruf Michels nicht gerade wirklich vor. Es ist weit weg alles.
Umso stärker haut der große Briefumschlag rein, aus dem ich das Drehbuch ziehe. Es ist also doch wahr.
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Dienstag, 15. Juni 2006, Saas-Fee
Ich sitze im Flugzeug nach Paris. Diese Reise darf ich selber zahlen, ich bin ja „noch nicht in der Produktion“. Gut, denke ich, werde ich zwar danach auch nicht sein, aber zumindest kann ich Michel nochmal treffen. Und mein Schuldenberg ist eh schon so hoch, da machen die paar hundert Euro auch nichts mehr aus.
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Freitag, 7. Juli 2006, München
Meine eigentlich in alle Elementarteilchen zersprengte Familie saß gemeinsam im Garten meines Vaters, als die Sonne mit rasender Geschwindigkeit den Horizont hinunterfiel. Sie zog einen Schweif hinter sich her. Kurz danach gab es einen gleißenden lautlosen Lichtblitz, gefolgt von vergleichsweise kleinen Nachblitzen, die trotz ihrer Intensität langsam von einer mächtig anwachsenden grauen Wolke geschluckt wurden. Aus dieser Wolke heraus zischten immer wieder größere Partikel in den Himmel, die lange Rauchspuren in den Himmel malten. Ganz so, wie bei der Challenger-Katastrophe.
Wir versuchten, auf den Großbildleinwänden, die wegen der WM überall herumstanden, irgendwelche Informationen herauszukriegen, aber es lief nur die gewohnte Weichspülunterhaltung. In diesem Moment ein Ehedrama. Noch ehe die langsam heranwalzende Staubwolke – die kurioserweise aussah, als ob sie mit Noppen eines Massagespielzeugs gespickt ist – uns und das Ehedrama schlucken konnte, wachte ich auf. Vermutlich war das die dritte und letzte Stufe der Ausrottung der Menschheit.
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Das Ergebnis der Zusammenarbeit hier >>>